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Hexenprozesse in der Herrschaft Ebnet bei Freiburg

Der Vortrag steht unter dem Generalthema "Hexenprozesse in Vorderösterreich", doch um die Sache anschaulicher zu gestalten, habe ich als Beispiel zwei Verfahren in der Herrschaft Ebnet ausgewählt, die einerseits hier aus der Region stammen, andererseits einen Einblick in die generellen Charakteristika von Hexenprozessen bieten.

Vorderösterreich, in Kurzform, waren die unter habsburgischer Herrschaft stehenden Lande auf beiden Seiten des Oberrheins, im Breisgau und Elsaß. Im Unterschied zu manchen anderen, stärker zentralisierten Territorien wie etwa Württemberg behielten hier unter dem Dach der österreichischen Oberherrschaft die einzelnen landsässigen Herrschaften weitestgehend ihre angestammten Rechte. Das heißt, sie zahlten den Tiroler Erzherzögen Steuern und leisteten militärische Dienste, aber darüber hinaus blieb die Verwaltung der Gebiete ihnen selbst überlassen. Damit lag auch die Hochgerichtsbarkeit, das Recht zur Aburteilung von todeswürdigen Verbrechen, nicht in einer Hand, sondern bei den verschiedensten Obrigkeiten aus Ritterschaft, Prälaten stand und Städten.

In der näheren Umgebung von Freiburg hätten wir also beispielsweise - willkürlich herausgegriffen und ohne Anspruch auf Vollständigkeit: die Stadt Freiburg selbst mit den ihr untertanen Gebieten im Kirchzartener Tal und um St. Märgen; die Herrschaft Ebnet (darauf kommen wir noch zurück); das Kloster St. Peter inclusive Zähringen; die Herrschaft Kastel-Schwarzenberg (die als eines der wenigen Gebiete unter direkter österreichischer Verwaltung steht). Die Liste ließe sich fast beliebig fort setzen.

Ebnet, um den Faden wieder aufzunehmen, war durch Heirat von den Schnewlin von Landeck auf die Grafen von Sickingen-Hohenburg übergegangen. Zu der Herrschaft gehörten außerdem die Burg Wiesneck und größere Gebiete um Breitnau und Hinterzarten im Höllental. Die in der Verwaltung dieser Herrschaft erwachsenen Akten sind leider fast vollständig verlorengegangen, nachdem die Sickinger, Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Mediatisierung badische Untertanen geworden, ihren gesamten Besitz an den badischen Staat verkauften und nach Österreich zogen.

Daß dennoch etwas über dort geführte Hexenprozesse überliefert ist, beruht auf einem heute nicht mehr durchschaubaren Zufall, der ein Bruchstück dieser Akten in das Generallandesarchiv Karlsruhe verschlug. Aus dem Bruchstück ergeben sich Informationen über Prozesse oder Ermittlungen gegen insgesamt sechs Frauen, alle zwischen 1599 und 1612. Drei der Verfahren endeten wahrscheinlich mit dem Tod der Betroffenen, bei den anderen drei ist der Ausgang nicht erkennbar. Eine Frau stammte aus Ebnet, vier aus Breitnau und eine aus dem nahe Breitnau gelegenen Ödenbach. Breitnau scheint also - bei aller gebotener Vorsicht - ein Schwerpunkt der Hexenverfolgungen in der Herrschaft Sickingen gewesen zu sein. In keinem Fall sind die Akten vollständig erhalten, aber das, was überliefert ist, erlaubt einen instruktiven Einblick in die generellen Zusammenhänge und Hintergründe von Hexenprozessen, so daß sie hier als Beispiel gewählt sein mögen.

Das erste Verfahren, auf das ich näher eingehen möchte, fällt in das Jahr 1602. Im Juni dieses Jahres wurde gegen Margaretha Spiegelhalderin, Frau des Schneiders Hans Brimsinger, ermittelt. Über ihre Person lassen sich nur wenige Aussagen machen. Ihr Mädchenname deutet darauf hin, daß sie zu einer in Breitnau ansässigen Familie gehörte; sie war vermutlich mindestens mittleren Alters, hatte mehrere Kinder. Sie gehörte mit ihrem Mann zur Schicht der Tagelöhner und Handwerker, denen weniger Rechte zugestanden wurden als den Inhabern der großen Höfe; wahrscheinlich war sie arm, scheint bei einem Bauern sozusagen "zur Miete" gewohnt zu haben. Sie ging zur Kirche und beichtete wie alle anderen Dorfbewohner auch.
Was macht eine solche Frau zur Hexe? Nicht das eigene Verhalten; primär sind es die Verdächtigungen der Mitmenschen. Treibende Kraft hinter dem Verfahren war der Breitnauer Einwohner Jacob Luckholdt, der nach den spärlichen Angaben zumindest zu den Wohlhabenderen im Dorf gehört haben muß. Für hohes Ansehen spricht auch, daß als sein Fürsprech - Vertreter vor Gericht - in diesem Prozeß der herrschaftliche Vogt des Dorfes auftrat.

Luckholdt erhob zunächst vor dem lokalen Richter in Breitnau Klage gegen Margaretha Spiegelhalderin. Es wurden Zeugen verhört, die den Verdacht auf Hexerei in den Augen der Obrigkeit so weit erhärteten, daß man eine Verhaftung und die Übertragung des Verfahrens an das übergeordnete Gericht in Ebnet für angezeigt hielt. Dort, in Anwesenheit der Herren Franz Conrad von Sickingen, Hans Christoph von Stadion und Wilhelm von Rust, begründete Luckholdt seine Klage damit, daß "ime so vill schaden widerfahren, daß er dardurch sehr bekhümbert, und verursacht worden mittel zugebrauchen (rauchwerckh meinende) da seyhe sie Spigelhaldere darzu komen, und kheinem ordenlichen weeg nachgangen, wie ein ander ehrenweib thuet. Er bleibe daher bei seiner Klage, gott geb waß es dan kostet". Dem unbedarften Zuhörer wird wahrscheinlich die Bedeutung dieser Aussage zunächst nicht ganz klar. Gemeint ist folgendes: Luckholdt hatte Schaden erlitten - aus dem weiteren Text wird klar, daß es sich um den Tod von Schweinen, Kälbern und Pferden handelte  -, und hegte den Verdacht, an dieser Häufung von Verlusten könnte Zauberei schuld sein. Das von ihm vorsichtig mit "Mittel" umschriebene Gegenmittel, zu dem er griff, war zwar nicht ganz legal, wurde aber nichtsdestoweniger allgemein praktiziert: die Entlarvung des angeblich Schuldigen mit Hilfe von Zauberei, von Volksmagie. Die hier betriebene Variante lautete: Wer als erster während oder kurz nach der Ausführung des Gegenzaubers am Ort des Geschehens gesehen wurde, galt als schuldig, ins besondere dann, wenn er dort gar nichts zu suchen hatte. Luckholdts Nachsatz, er bleibe bei seiner Klage, koste es was Gott wolle, weist auf den bisher von ihm beschrittenen Weg der Privatklage hin. Bei diesem aus dem Mittelalter überkommenen Verfahrensweg blieb das gesamte Risiko beim Kläger, das heißt, erwies sich die erhobene Beschuldigung als unwahr, blühte dem Kläger zumindest theoretisch eben jene Bestrafung, die sonst den Delinquenten getroffen hätte. Im Fall von Hexerei wäre das die Verbrennung gewesen.

Die Beschuldigte wies die Vorwürfe zurück: sie sei nicht, was er sie zeihe, und er solle seine Anschuldigungen beweisen. Offenbar wurde an diesem Punkt von seiten der Obrigkeit ein letzter Versuch der gütlichen Einigung zwischen den Parteien gemacht, doch er scheiterte, wie kaum anders zu erwarten war. "Uff zusprechen daß sie sich umb den zu gefuegten schaden mit dem ankläger vertragen solle: sie sich wol daß zuthun verweigert, dan sie habe ime keinen schaden gethon"; sie wisse nicht, heißt es dann weiter, was sie dem Luckholdt getan habe, daß er sie hierher gebracht habe. Das Angebot des Gerichts lautete also, Margaretha solle Luckholdt für einen Verlust entschädigen, für den sie sich als nicht verantwortlich betrachtete.
Die Obrigkeit verließ nun ihre bisherige scheinbar neutrale Haltung und übernahm Luckholdts Beschuldigung als die eigene Auffassung, das heißt, sie übernahm das Verfahren in ihre eigene Verantwortung und Regie. Dabei deutet die Art der Verhörführung darauf hin, daß die Befragte von vornherein für schuldig gehalten wurde. Denn die nächste Frage der Gerichtspersonen lautete, was sie für Schäden getan - durch Zauberei verursacht - habe. Margaretha beschränkte sich in ihrer Antwort darauf, daß sie - ähnlich wie ihr Gegner Luckholdt - Schäden an ihrem eigenen Vieh zum Anlaß genommen hatte, einen Wahrsager aufzusuchen, um sowohl (zauberische) Gegenmittel zu erhalten als auch den Schuldigen ermitteln zu lassen. Das reichte der Obrigkeit natürlich nicht. Um der Frage Nachdruck zu verleihen, wurde sie noch am selben Tag, vielleicht sogar unmittelbar im Anschluß daran, der Folter durch den Scharfrichter Meister Hans von Freiburg unterworfen und gestand.

Dieser Fall ist einer der wenigen, in dem eine direkte Mitschrift des Geständnisses überliefert ist, so daß Aussagen über den Ablauf möglich sind. Die Zeugenverhöre und die Klage des Jacob Luckholdt hatten sich ausschließlich auf den angeblich verursachten Schaden konzentriert, denn auf dessen Bestrafung wie auch auf die Verhinderung zukünftiger Schäden mußte der Sinn der Bauern und anderen Dorfbewohner in erster Linie gerichtet sein. Statt mit ihrem Geständnis nun auf diese Vorwürfe einzugehen, replizierte Margaretha Spiegelhalderin Elemente des gelehrten Hexenbildes und erfüllte so die Vorstellungen der verhörenden Obrigkeit. So heißt es darin: "Es ist zwey jahr daß sie dahinder kommen ist. Ist arm gewösen, und also durch armuth willen darhinder kommen. (...) [Der Teufel] Ist in der stueben zu ihren kommen (...), in ires bauren stub. (...) Hat iren einen vierer geben, wie sie gemeindt. Hatt iren zugemuethet, er wölle bey iren schlaffen. Hat uff dem boden bey ime geschlaffen. Hatt sie gedunckht er seyhe ein wenig kalt gewösen. Hat sich gesegnet, dan ist er von iren kommen. (...) Hatt sie geheißen gott verleugnen und seine liebe heyligen, und daß habe sie gethon. (...) Ist (...) wider zu iren kommen, hatt zu iren gesagt sie solle dem Hanß Müller ein kalb verderben, sie habe es mit der handt angriffen in deß teuffels namen, ist gestorben". Ein wenig später legt sie den zeitlichen Beginn ihres Vergehens auf zehn - statt zwei - Jahre zuvor. Dies erschien dem Gericht, wie ausdrücklich vermerkt wurde, glaubwürdiger; vermutlich paßte es besser zu den Aussagen der Zeugen und den Gerüchten, die über sie in Umlauf waren.

Die Geschichte, die Margaretha Spiegelhalderin erzählt, taucht in den Urgichten, den "offiziellen" Versionen der Geständnisse, in Hunderten von Varianten immer wieder auf. Nach der Auffassung der Gelehrten kam der Teufel bevorzugt zu jenen, die in Not oder sonstwie bedrängt waren, bot Hilfe an (hier in Form von Geld, einem Vierer nämlich), verlangte dafür Beischlaf, der aber unnatürlich - kalt - war, und wenig später auch die Verleugnung Gottes und das Eingehen eines Paktes mit dem Teufel. Erst dieser Pakt war, so die allgemeine Überzeugung von Theologen und Juristen, Grundlage und Auslöser für die vielfältigen Fälle von Schadenzauber an Vieh, Menschen und Bodenfrüchten, die also von der Hexe nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Aufforderung des Teufels und in seinem Namen verübt wurden.

Zu diesem Bild gehörte außerdem der Hexentanz oder Hexensabbat; und so setzte Margaretha Spiegelhalderin ihr Geständnis nach der Aufzählung einiger weiterer Schadensfälle auch mit der obligatorischen Nennung weiterer Hexen fort, die sie auf dem Hexentanz, war sie dort gewesen, gesehen haben mußte. Margaretha nannte vier Personen, von denen drei allerdings als fürstenbergische Untertanen bezeichnet wurden und somit nicht unter sickingische Gerichtsbarkeit fielen; die vierte, Els Strawmeyerin, wurde eingezogen und gleichzeitig mit Margaretha Spiegelhalderin zum Tode verurteilt.

Nachdem der Widerstand der Delinquentin so erst einmal gebrochen worden war, setzte man das Verhör drei Tage später mit gezielten Fragen nach jenen Schadensfällen fort, von denen die Zeugen berichtet hatten. Sie konzentrierten sich im wesentlichen auf den Kläger Jacob Luckholdt sowie auf Fridlin Steinhardt, einen weiteren Dorfbewohner; diese bei den betrachteten sich offenbar als die Hauptopfer der "Hexe". Margaretha Spiegelhalderin gestand zwar auch, einige Unwetter gemacht und verschiedenen Dorfbewohnern Krankheiten angehext zu haben, aber der weitaus größte Teil der ihr vorgeworfenen Zaubereien betraf Schäden an Vieh. In einem Raum wie dem Schwarzwald, wo der Lebensunterhalt letztlich allein durch Viehzucht bestritten wurde, mußte der Tod der Tiere existenzbedrohend wirken. Thoma Wursthorn etwa beklagte den Verlust von Vieh im Gegenwert von 100 Gulden, was einen erheblichen Wert darstellte. Die Bauern vermuteten Motive wie Neid oder Rache hinter der angeblichen Handlungsweise der Hexe - man erinnere sich, daß Margaretha eher zur Unterschicht, ihre Gegner eher zu den Etablierten im Dorf gehörten. Jacob Luckholdts Frau und Gesinde hatte sich mehrfach geweigert, ihr auf ihre Bitte Molke oder Öhmd zu geben. Jedes Mal folgte der Weigerung der Tod von Kälbern oder Schweinen. Bei der Hochzeit von Luckholdts Tochter schaute die Spiegelhalderin in den Stall, lobte den guten Zustand von Stall und Kälbern - gleich darauf wollte eines nicht mehr saugen.

Wer sich hilflos den Unbilden der Natur gegenüber sah, die die Früchte seiner Arbeit vernichtete, suchte nach Gründen, nach Schuldzuweisungen. Das Geständnis der Beschuldigten, "tatsächlich" an dem Schaden schuld zu sein, bot eine Erklärung, ihre Hinrichtung schließlich die scheinbare Möglichkeit, sich vor zukünftigen Schäden zu schützen.

Nach der geltenden Rechtsordnung war ein solches Geständnis, hinreichend für die Verurteilung, sofern der Beschuldigte es einige Tage später "gütlich", das heißt ohne Folter, als wahrheitsgemäß bestätigte. Das geschah, und am 13. August 1602 fällten die Vierundzwanzig Malefizrichter unter Verweis auf die Constitutio Criminalis Carolina, das "Strafgesetzbuch" des Reiches, das Urteil, daß "dise persohnen, Margreta und Elisabeth angeclagter geüebter hexerey und begangenen müßhandlungen, anderen zue einem abschewlichen exempel heutigs tags durch den Meister Hansen den nachrichter zue Freyburg, zue verordneter richt- und wahl statt gefüerth, alda durch daß fewer vom leben zuem todt gebracht, und ihre leyber zue pulffer und eschen verprent werden sollen". Nach der Verkündung dieses Urteils haben "die zwo arme weibspersohnen, neben den 24 herren malefizrichtern, auch einer ehrwürdigen priesterschafft umb milterung der urthell bei der herrschaft underthänig und demütigs vleyß angehalten und gebeten, und dieweil wolermelte herrschafft sollich (...) ersuchen nit unzimblich erachtet, (...). Alß hat sie sich (...) dahin erclären lassen, dz (...) die zwo arme persohnen, erstlichen durch daß schwert, volgendts und im übrigen nach inhalt und besag ergangener urthell hingericht und abgestrafft werden sollen". Die "Begnadigung", erst enthauptet und dann verbrannt zu werden, war das einzige Zugeständnis an die Menschlichkeit, das geständige Hexen zu erwarten hatten. Das Urteil lautete weiterhin auf Konfiskation des gesamten Vermögens der Verurteilten.

Der zweite hier zu schildernde Fall trug sich gut sieben Jahre später und wiederum in Breitnau zu. Manche der Protagonisten sind uns schon aus dem Verfahren gegen Margaretha Spiegelhalderin bekannt. Im Dezember 1609 erhob Verena Dreyerin, Frau des Ulrich Wursthorn, Beleidigungsklage gegen Martin Schwartz. Wiederum weiß man über sie nur wenig: sie scheint schon einmal verheiratet gewesen zu sein und hatte aus dieser ersten Ehe mehrere, inzwischen verheiratete Kinder. Irgendwann vor 1602 brannte ihr eigenes Haus ab, seitdem wohnte sie bei ihrem Sohn Michel Häusler. Ihr Kontrahent war mit Jacob Luckholdt, den wir schon aus dem eben dargestellten Fall kennen, verschwägert. Sonst ist kaum etwas über ihn in Erfahrung zu bringen, außer, daß als sein Fürsprech vor Gericht Fridlin Steinhardt auftrat, der gleichfalls eines der Hauptopfer des angeblichen Schadenzaubers von Margaretha Spiegelhalderin gewesen war.

Verena Dreyerin klagte: Martin Schwartz habe Reden getan, die sie zu leiden nicht willens sei, und sie "begere (...) der beclagte soll ihren umb die außgeschlagene scheltwortt, khär und wandell thuen, nach ihrer ehren noturfft; mit ab trag alles kosten, und schaden".

Die Formulierung "Kehr und Wandel tun", die in diesem Zusammenhang häufig auftritt, beinhaltet eine formelle, gerichtliche Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand der Ehre und Unbescholtenheit, was angesichts der großen Bedeutung von "Ehre" in der frühen Neuzeit in einem solchen kleinen Dorf fast lebensnotwendig gewesen sein dürfte. Was diese Scheltworte waren, ergibt sich erst fünf Seiten später nach einigem Hin und Her zwischen den Parteien. Martin Schwartz antwortete auf die Klage: "waß er geredt habe, daß seye anderer gestalt nicht beschehen dan wan es wahr seye waß ander leuth sagen, so seye sie ein hex". Auch dies ist eine häufig anzutreffende Formulierung; wer Gerüchte auf diese Weise verbreitete, konnte schwer wegen Verbreitung falscher Tatsachen verklagt werden. Schwartz allerdings versuchte auch, seine indirekte Behauptung jetzt vor Gericht zu belegen. Zum einen, führte er aus, habe es vor Jahren schon einmal eine Gerichtsverhandlung wegen solcher Reden gegen sie gegeben, und er höre sagen, daß diese Sache noch nicht erledigt sei - sprich, daß die damaligen Vorwürfe nicht endgültig aus der Welt geschafft worden seien. Er sei nicht der Urheber der Gerüchte, sie solle daher erst einmal gegen diejenigen klagen, die die Verdächtigungen aufgebracht hätten. Zum anderen werde er gute Zeugen nennen, die Argwöhnisches über Verena Dreyerin berichten könnten. Man könnte seine Verteidigung so umschreiben: er selbst sei zwar nicht für das Gerede verantwortlich zu machen, aber es sei stichhaltig.

Es folgten umfangreiche Zeugenvernehmungen, bis das Gericht schließlich im Juli 1610 beschloß, die Sache sei ihm zu schwer und man wolle ein Rechtsgutachten einholen. Das Gutachten, das selbst nicht überliefert ist, führte zu dem Urteil, daß "die clägere gegen den jenigen so Verenam Dreyherin (...) vor der zeit verschreith, übels bezichtiget, auch durch schmach ehrletzliche unleidenliche reden an griffen haben, mit ordenlichen rechten verfahren, und der selben ehr, notturfftiglichen, auch geburender maßen, erretten"; bis dahin sollte das laufende Verfahren gegen Martin Schwartz vertagt werden. Weiter heißt es, beide Parteien hätten sich "gar höchlichen der urthell, und darbey gehapter bemüehung hoch vleißig bedanckht". Tatsächlich konnten beide mit dem bisherigen Verlauf zufrieden sein: Schwartz war von der Verantwortung enthoben, die Gerüchte aufgebracht - und nicht nur weiterverbreitet - zu haben. Verena Dreyerin erhielt die Möglichkeit, weiter vor Gericht um ihre Ehre zu kämpfen.

Sie scheint darauf vorbereitet gewesen zu sein, denn unmittelbar im Anschluß daran erhob sie detailliert Klage gegen drei Männer, die nach den vor hergegangenen Zeugenaussagen als Urheber der umlaufenden Gerüchte bezeichnet werden konnten. Einer von ihnen war Jacob Luckholdt, der uns schon als treibende Kraft hinter dem Verfahren von 1602 bekannt ist. Die Beklagten zogen sich zunächst zwar darauf zurück, daß ihrer Auffassung nach die vor Jahren in der schon genannten Gerichtsverhandlung behandelten Gerüchte nicht vollständig ausgeräumt und für unwirksam erklärt worden waren; ansonsten aber erklärten sie, die ihnen vorgeworfenen Reden seien so gefallen, "und pitten die Verena Dreyherin solle sie zufriden laßen". Diese hingegen hakte nach und forderte eine konkrete Antwort, ob die drei ihre Reden wirklich so gemeint hätten: "Alß von dem [Jacob] Krampschen, ob er darfür halte, daß (...) [sie] wetter, und nebel machen khünde. Den Veltin Wintterer, warumben er gesagt, daß (...) [sie] nit fromme seye. Den Jacob Lückholdten, ob er vermeine, wan sein ehefraw gestorben wäre, daß (...) [sie] daran schuldig gewäßen". Die drei Männer antworteten, sie würden ihr nichts Gutes zutrauen. Auf die Nachfrage, warum das so sei, "ob daß von huorn, hexen, oder diebswerckh seye" - Hure, Dieb und Hexe waren ungefähr die schwersten Beleidigungen und Vorwürfe, die man sich in der damaligen Zeit gegenseitig an den Kopf werfen konnte -, antworteten die Beklagten recht differenziert: "sie wißen von diebswerckh nichts, waß huorn werckh anlangt daß laßen sie verpleiben, aber so vil daß hexenwerckh anlangt, daßselbig trauen sie ihren zuo".

Die Klägerin antwortete mit der Forderung, sie sollten konkrete Fälle benennen, in denen sie Leuten oder Vieh Schaden zu gefügt oder Wetter gemacht habe. Luckholdt und Konsorten fiel darauf nicht mehr ein, als "wan man daß hexenwerckh hinder ihren suoche, so werde man dasselbig finden". Anders ausgedrückt, wenn die Obrigkeit Ermittlungen gegen sie aufnehme, sie verhafte und foltere, werde sich schon herausstellen, daß sie eine Hexe sei. Dem Gericht war die Sache wieder zu schwer; sie sei so hochwichtig, daß die Entscheidung von der Obrigkeit getroffen werden müsse.

Was letztlich daraus geworden ist, weiß man leider nicht. Die Chancen standen sicherlich schlecht für Verena, denn in vielen Fällen hielten die Obrigkeiten den Verdacht für so begründet, daß sie auf das Auftreten vor Gericht mit der Verhaftung der Verdächtigen antworteten. Von den - soweit bisher bekannt - zwölf übrigen Personen, die in Vorderösterreich durch eine Gegenklage versuchten, die Hexereibeschuldigung von sich abzuwenden, geriet ein großer Teil dennoch in einen Hexenprozeß hinein. Fünf endeten auf dem Scheiterhaufen, zwei oder drei weitere entgingen dem nur, weil sie auf der Folter standhaft blieben.

Anhand der Zeugenaussagen läßt sich im Fall der Verena Dreyerin recht plastisch nachvollziehen, wie es über Jahrzehnte hinweg zum Aufbau der Verdächtigungen gegen Verena Dreyerin kam. Jacob Luckholdt führte als Belastungspunkt gegen sie an, sie sei schon vor zwanzig Jahren (das wäre um 1590) in Argwohn gewesen, weil die Klingenhammerin sie als Hexe bezichtigt habe. Diese Bezichtigung hatte damals zu der mehrfach erwähnten Gerichtsverhandlung geführt. Irgendwann vor 1602 brannte ihr Haus ab. Ob dies nun auch zu den Verdächtigungen beitrug, wird nicht recht klar, doch blieb es allen Beteiligten lebhaft in Erinnerung und wurde als Marke für die zeitliche Zuordnung benutzt. So berichtete ein Zeuge: In dem Jahr, als der Alten Häuslerin ihr Haus verbrannte, kam sie heulend zu ihm, sie würde von den Leuten für eine Hexe gehalten, und sie hätte gute Lust, aus dem Land zu fliehen. Der Zeuge riet davon ab, mit der Begründung, die Flucht würde nur zur Bestätigung der Gerüchte führen. Sie solle stattdessen auf Wiederherstellung ihrer Ehre klagen - was sie Jahre später auch tat. Um 1602 beklagte sich Verena Dreyerins Schwiegersohn Thönges Dröscher bei einem weiteren Zeugen, er habe Schwierigkeiten, Personal für die Ernte zu bekommen. Niemand wolle bei ihnen bleiben, denn alle sagten, seine Schwiegermutter sei eine Hexe. Der Zeuge antwortete, "es würdt aber gewohnlich nit also sein, [darauf] habe der Dröscher ime zue andtwortt geben, er habe nichts dergleichen von ihren gesehen". Der Schwiegersohn ging also von ihrer Unschuld und der Unbegründetheit der Vorwürfe aus; während des Injurienprozesses von 1609/10 trat er dann auch neben anderen Verwandten als Fürsprecher seiner Schwiegermutter vor Gericht auf. Im gleichen Jahr - 1602 - wurden Margaretha Spiegelhalderin und Els Strawmeyerin hingerichtet.

Über die Henkersmahlzeit (die damals, im Unterschied zu heute, nicht dem Verurteilten, sondern dem Henker und den übrigen Gerichtsbeteiligten zustand) berichtete der Zeuge Jacob Krampsch, der später zu den von Verena Dreyerin Beklagten gehörte: "es habe Meister Hanß der nachrichter zu Freyburg, auch an einem disch gezehrt, und zu ime zeugen gesagt, er solle ime mehr weiber pringen, darauff er zeug gesagt wen er bringen solte, er wiße kheine, do hab Meister Hanß gesagt, er soll die pringen, die ihren selbst daß hauß verbrennt habe, hierauff hab er zeug gesagt, er bring sy nicht, sie seye sein deß zeugen gefatter, uff daß hab er Meister Hanß gesagt er soll sie pringen sy seye sein gefatter oder nicht".

Die Scharfrichter als ausführende Organe konnten natürlich darauf, wer verhaftet und in ihre Behandlung gegeben wurde, im allgemeinen keinen Einfluß ausüben. Sie konnten aber, wie dieses Beispiel zeigt, sehr wohl Gerüchte in Umlauf bringen bzw. verstärken. Der geschilderte Vorfall blieb nicht der einzige, in dem Meister Hans zur Verfolgung und Verbrennung von Verena Dreyerin aufforderte. Als ein weiterer Zeuge etwa 1607 den Scharfrichter in Freiburg aufsuchte, um dessen Abdeckerdienste in Anspruch zu nehmen, habe dieser folgendes erzählt: er - der Scharfrichter - sei vor Jahren einmal im Haus der Häuslerin gewesen und "etwaß in dem stall thun sollen, domit ihnen weiter unfahl nicht under dem viech begegne", und er habe ihr damals ins Gesicht gesagt, sie selbst - Verena Dreyerin - hätte den Schaden verursacht. Den Zeugen fragte er nun, ob die Häußlerin noch lebe, "zeug geandtwortet ja, darauff M.[eister] Hanß gesagt, sie würde villeicht nit sterben künden und alß zeug verstanden wie er dise reden gemeindt habe er gesagt ihr solten ihren darzu etwan helffen, M.[eister] Hanß gesagt, wan er sie zu Ebnet gefunden hette, er ir baldt geholffen". Daraus ergibt sich zweierlei: der Scharfrichter gehörte, wie so viele seiner Zunft, zu den oft von der Bevölkerung in weitem Umkreis in Anspruch genommenen Vertretern der Volksmagie, zu denen, die Gegenzauber nutzten, um einerseits weiteren Schadenzauber zu verhüten und andererseits jene Personen aufzudecken, die angeblich für die Verhängung des Schadens verantwortlich waren. Zum zweiten war Meister Hans fest davon über zeugt, daß er in der Lage wäre, ein Geständnis aus ihr her auszupressen, sofern er nur die Gelegenheit dazu bekäme. Denn wenn der Scharfrichter sie in Ebnet fand, hieß das, daß die Obrigkeit die Beschuldigte zwecks Folter in seine Hände überstellte. Diese Überzeugung von der Effektivität der Folter wurde übrigens, wie aus weiteren Zeugenaussagen deutlich wird, von den Dorfbewohnern geteilt.

Anders als der Schwiegersohn Thönges Dröscher war Verenas Sohn Michel Häusler offenbar nicht so sehr von ihrer Unschuld überzeugt. Vor fünf Jahren (also um 1605), so berichtete ein Zeuge, habe Häusler sich beim Tod eines jungen Stieres beklagt, es werde alles nichts, solange er "sie" im Haus habe, womit er seine Mutter meinte, die seit dem Brand ihres Hauses bei ihm wohnte. Wer eine Hexe im Haus hatte, konnte nicht erfolgreich sein. Ebenso schreckte er nicht davor zurück, sie als "alte Hexe" zu beschimpfen und zu behaupten, sie habe einem Knecht Schaden zufügen wollen. Vielleicht waren das aber für ihn nicht viel mehr als Redensarten, denn auch er trat bei dem Injurienprozeß als rechtlicher Vertreter seiner Mutter auf.
Aus den übrigen Zeugenaussagen wird deutlich, daß der Beschuldigten - anders als in dem Verfahren gegen Margaretha Spiegelhalderin acht Jahre zuvor - kaum konkrete Schadensfälle angelastet werden konnten. Allein die Frau Jacob Luckholdts behauptete, die Häuslerin hätte sie angehaucht, und sie sei davon erkrankt und wäre gestorben, hätte ihr nicht ihr Ehemann -  Luckholdt - mit magischen Mitteln wieder geholfen. Die übrigen Zeugen berichten allein von haßerfüllten, kaum verbrämten Äußerungen gegen die Häuslerin. Luckholdt erzählte jedem, der es hören wollte, sie sei eine Hexe. Ein anderer Zeuge meinte, die Junker, also die sickingische Obrigkeit, wüßten schon, wer die Häuslerin sei - eine Hexe. Noch ein anderer: sie sei nicht fromm, aber der Scharfrichter werde schon dafür sorgen, daß sie fromm werde.

Die Häufung dieser Art von Aussagen läßt vermuten, daß hinter der Hexereibeschuldigung mehr stand als die reine Schuldzuweisung an einen Sündenbock; möglicherweise wurden auf diesem Weg schon jahrelang andauernde Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Familien und Fraktionen im Dorf fortgesetzt. Nachweisen läßt sich dies nicht, weil die Überlieferung verloren ist, aber es ist schon für andere Territorien gezeigt worden, daß Hexenprozesse auch zur Fortführung dörflicher Konflikte auf anderer Ebene dienen konnten.

Generell aber läßt sich der allmähliche, über Jahrzehnte hinweg erfolgende Aufbau von Gerüchten immer wieder beobachten. Hatte sich erst einmal ein Anfangsverdacht an einem Mitglied der dörflichen Gemeinschaft festgesetzt, bot sich die Möglichkeit, alle Schadens- und Unglücksfälle dieser Person anzulasten. Das tote Vieh blieb tot, aber man hatte wenigstens jemanden, den man dafür verantwortlich machen konnte. Letztlich führte eine solche Entwicklung dazu, daß den Eingekreisten kaum eine Möglichkeit blieb, sich zu wehren. Flohen sie, bestätigten sie die scheinbare Wahrheit der Gerüchte. Ließen sie die Gerüchte auf sich beruhen, ohne vor Gericht dagegen vorzugehen, wurde ihnen dies hinterher als belastend und den Verdacht bestätigend ausgelegt. Erhoben sie Klage vor Gericht, konnte es leicht sein, daß der Verteidigungsversuch mit dem Umschlag in einen gewöhnlichen Hexenprozeß und ihrer Hinrichtung endete, sofern sie nicht stark genug waren, die Folter ohne Geständnis zu überstehen.

Noch einige allgemeine Bemerkungen zu den Hexenverfolgungen in den österreichischen Vorlanden. Für ganz Vorderösterreich sind bisher 1388 Verfahren wegen Hexerei bekannt. 1079 oder fast 80% endeten mit dem Tod der Betroffenen. 149 kamen mit dem Leben davon, wurden aber nicht selten mit lebenslanger Haft oder Ausweisung belegt; einem Freispruch von den Verdächtigungen bedeutete dies niemals, in manchen Fällen nur einen Aufschub des Todesurteils. Es mag allerdings sein, daß es noch wesentlich mehr Prozesse ohne Todesfolge gegeben hat, die in den bisher von mir bearbeiteten Quellen nicht aufscheinen und möglicherweise auch nie aufgespürt werden können. In einzelnen Städten wie Freiburg, für die die Quellen schon besser bearbeitet sind, sieht das Verhältnis wesentlich günstiger aus; hier wurden nur knapp über die Hälfte der Beschuldigten hingerichtet.

Zeitlich konzentrieren sich die Hexenprozesse, in Vorderösterreich ebenso wie in ganz Südwestdeutschland, auf die sechzig Jahre zwischen 1570 und 1630. Die Hexenverfolgungen sind also nicht, wie oft in populären Darstellungen behauptet, ein Phänomen des "dunklen" Mittelalters, sondern der Neuzeit. Einzelfälle ziehen sich sogar bis weit ins 18. Jahrhundert hinein; einer der letzten Hexenprozesse, die es in Deutschland gegeben hat, ereignete sich ganz in der Nähe, in Endingen, im Jahr 1751. Die Verdächtige wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Betrachtet man einzelne Orte, und nicht das gesamte Territorium, so löst sich diese relativ kontinuierliche Verfolgungshochphase auf in einzelne Prozeßwellen. Die meisten Orte und Herrschaften in Vorderösterreich folgen einem Verfolgungsmuster, das als "small panics" bezeichnet worden ist: mehrere Hinrichtungen innerhalb einer kurzen Zeitspanne wechseln sich ab mit einer bis zu einer Generation langen Phase, in der entweder gar keine oder nur vereinzelte Prozesse stattfinden. Solche Prozeßwellen ereigneten sich beispielsweise in der Herrschaft Burkheim am Kaiserstuhl 1573-1575, 1580, 1613/1614 und 1620/1621; in der Stadt Freiburg 1599 und 1603, in Waldkirch 1576, 1603 und 1631.

Das Potential zur Ausweitung lag in jedem einzelnen Prozeß, weil jede Hexe auf dem Sabbat andere Hexen gesehen haben mußte. Bis heute ist weitgehend ungeklärt, warum sich manche Prozesse zu Verfolgungswellen ausweiten und andere nicht. Die zugrundeliegende Hexenlehre entstand im 15. Jahrhundert; spätestens seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts war sie in ihrer kompletten Ausformung allgemein bekannt und auch schon Grundlage erster Strafprozesse. Die erste "echte" Hexenhinrichtung in Freiburg beispielsweise fand 1546 statt. Doch zu Prozeßwellen, ausgelöst durch den Mechanismus der Besagungen, kam es erst eine Generation später. Schon die zeitlich und räumlich ungleichmäßige Verteilung deutet darauf hin, daß das "Vorhandensein" von Hexen stark von den Sichtweisen und Interessen möglicher Prozeßbeteiligter abhing.

Anders ausgedrückt: es gab keine Hexensekte, kein Überbleibsel heidnischer Riten; genausowenig gab es die "Vernichtung der weisen Frauen", die gezielte Verfolgung von Verhütungs- und Abtreibungswissen. Es betrieben zwar breite Kreise der Bevölkerung Volksmagie - aber sehr viele von den "Volksmagiern" sind Männer und geraten niemals in die Gefahr der Verfolgung. In Breitnau und Umgebung haben wir in dieser Rolle kennengelernt: Jacob Luckholdt, den angesehenen Bürger; Meister Hans, den Scharfrichter von Freiburg; und Margaretha Spiegelhalderin, die verbrannt wurde. Hexenverfolgungen konnten nur zustandekommen, wenn die Interessen der Hauptbeteiligten - Bevölkerung und Obrigkeit - parallel liefen.
Auf die Motivation der Dorfbewohner bin ich schon eingegangen. Für sie war es entscheidend, daß jemand gefunden wurde, der für den geschehenen Schaden an Vieh, Menschen und Ernte verantwortlich gemacht werden konnte, daß sich durch die Prozesse Handlungsmöglichkeiten ergaben, etwaigen zukünftigen Schaden zu verhindern, und daß man so notfalls auch Gegner innerhalb des Dorfes beseitigen konnte. Es scheint, daß sich das Drängen in solchen Zeiten verstärkte, die man als "Agrarkrisenjahre" bezeichnet: Mißernten, gefolgt von Teuerung, Hunger und Seuchen. Behringer hat dies für Bayern recht eindrücklich gezeigt, und auch für den südwestdeutschen Raum könnte es ein Schlüssel für die Frage sein, warum die Verfolgungen gerade in den Jahren nach 1570 einsetzten. Denn die Jahre von 1570 bis 1575 sahen die schlimmste Teuerungs- und Hungerkrise seit Menschengedenken, und wer seine Existenz in dieser Weise gefährdet sah, mochte eher an das böswillige Treiben von Hexen glauben.

Doch allein Wünsche aus der Bevölkerung reichten nicht aus, die Obrigkeit mußte auf sie eingehen und in Gerichtsverfahren umsetzen. Nun hatte die "Elite" der Gelehrten und der Obrigkeit ein völlig anderes Hexenbild als das "Volk". Für sie stand nicht der Schadenzauber im Mittelpunkt, sondern die dämonologischen Aspekte des Hexenglaubens, die Verbindung mit dem Teufel. Keiner von ihnen stellte die Existenz des Teufels in Frage, kaum einer zweifelte an der Realität von Hexenflug und Hexensabbat. Die ganz überwiegende Mehrheit - die "herrschende Meinung", sozusagen - hielten es für möglich und wahrscheinlich, daß sich der Teufel Verbündete in der Welt suchte, die allein durch diese Verbindung zu Feinden der Menschheit wurden und mit dem Tod durch Verbrennung bestraft werden mußten. Da war es unerheblich, ob sie tatsächlich Schaden angerichtet hatten oder nicht; mit dem Teufelspakt dokumentierten sie ihren Willen dazu, und das genügte.
Die Gelehrtenauffassungen übertrugen sich auf die Gerichtspraxis. Wo in den Todesurteilen eine ausführlichere Begründung angeführt wurde, stellte diese den Abfall von Gott in den Mittelpunkt des Delikts, der Schadenzauber war sekundär. Daß die Hexen sich dem Teufel zuwandten, war nicht primär eine individuelle Verfehlung, sondern konnte den Zorn Gottes auf die gesamte menschliche Gemeinschaft herabrufen. Um dies zu verhindern, mußten die Hexen bestraft und ausgerottet werden. Wenn sich nun im Laufe des 17. Jahrhunderts die Hauptziele der Obrigkeit zunehmend auf säkulare Bereiche verlagerten, mußte auch das Hexereidelikt allmählich aus ihrem Blickwinkel herausfallen. Entsprechend heißt es während der Hochphase der Hexenverfolgung über Hexereiverdächtigungen oft, wie ja auch im zweiten Breitnauer Fall, die Sache sei hochwichtig und müsse weiterverfolgt werden. Ab etwa 1630 wuchsen dagegen die Zweifel an der Beweisbarkeit des Hexereidelikts, und immer weniger war die Obrigkeit bereit, auf die Prozeßbegehren der Bevölkerung ein zugehen; dies ist gerade anhand der späten Freiburger Fälle in einer Magisterarbeit sehr eindrücklich gezeigt worden.

Viele Fragen, auch über das hinaus, was ich in diesem Vortrag anreißen konnte, sind in den letzten zwanzig Jahren moderner Hexenforschung aufgeworfen worden; nur weniges wurde bisher zufriedenstellend geklärt. Es gibt immer noch viel zu beantworten: die Rolle der Konfiskationen und die finanziellen Aspekte der Hexenverfolgung, das Zusammenspiel von Vorstellungen des Volkes und der Obrigkeit, die Rolle von Gegenreformation, Konfessionalisierung und Christianisierung, ein genauerer Abgleich zwischen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und den Phasen der Hexenverfolgung, Hexenverfolgung als Frauenverfolgung, und so weiter. Die Liste ließe sich fast beliebig verlängern.