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Hexenprozesse in der Herrschaft Ebnet bei Freiburg
Der Vortrag steht unter dem Generalthema "Hexenprozesse in
Vorderösterreich", doch um die Sache anschaulicher zu gestalten,
habe ich als Beispiel zwei Verfahren in der Herrschaft Ebnet
ausgewählt, die einerseits hier aus der Region stammen,
andererseits einen Einblick in die generellen Charakteristika von
Hexenprozessen bieten.
Vorderösterreich, in Kurzform, waren die unter habsburgischer
Herrschaft stehenden Lande auf beiden Seiten des Oberrheins, im
Breisgau und Elsaß. Im Unterschied zu manchen anderen,
stärker zentralisierten Territorien wie etwa Württemberg
behielten hier unter dem Dach der österreichischen Oberherrschaft
die einzelnen landsässigen Herrschaften weitestgehend ihre
angestammten Rechte. Das heißt, sie zahlten den Tiroler
Erzherzögen Steuern und leisteten militärische Dienste, aber
darüber hinaus blieb die Verwaltung der Gebiete ihnen selbst
überlassen. Damit lag auch die Hochgerichtsbarkeit, das Recht zur
Aburteilung von todeswürdigen Verbrechen, nicht in einer Hand,
sondern bei den verschiedensten Obrigkeiten aus Ritterschaft,
Prälaten stand und Städten.
In der näheren Umgebung von Freiburg hätten wir also
beispielsweise - willkürlich herausgegriffen und ohne Anspruch auf
Vollständigkeit: die Stadt Freiburg selbst mit den ihr untertanen
Gebieten im Kirchzartener Tal und um St. Märgen; die Herrschaft
Ebnet (darauf kommen wir noch zurück); das Kloster St. Peter
inclusive Zähringen; die Herrschaft Kastel-Schwarzenberg (die als
eines der wenigen Gebiete unter direkter österreichischer
Verwaltung steht). Die Liste ließe sich fast beliebig fort setzen.
Ebnet, um den Faden wieder aufzunehmen, war durch Heirat von den
Schnewlin von Landeck auf die Grafen von Sickingen-Hohenburg
übergegangen. Zu der Herrschaft gehörten außerdem die
Burg Wiesneck und größere Gebiete um Breitnau und
Hinterzarten im Höllental. Die in der Verwaltung dieser Herrschaft
erwachsenen Akten sind leider fast vollständig verlorengegangen,
nachdem die Sickinger, Anfang des 19. Jahrhunderts mit der
Mediatisierung badische Untertanen geworden, ihren gesamten Besitz an
den badischen Staat verkauften und nach Österreich zogen.
Daß dennoch etwas über dort geführte Hexenprozesse
überliefert ist, beruht auf einem heute nicht mehr durchschaubaren
Zufall, der ein Bruchstück dieser Akten in das Generallandesarchiv
Karlsruhe verschlug. Aus dem Bruchstück ergeben sich Informationen
über Prozesse oder Ermittlungen gegen insgesamt sechs Frauen, alle
zwischen 1599 und 1612. Drei der Verfahren endeten wahrscheinlich mit
dem Tod der Betroffenen, bei den anderen drei ist der Ausgang nicht
erkennbar. Eine Frau stammte aus Ebnet, vier aus Breitnau und eine aus
dem nahe Breitnau gelegenen Ödenbach. Breitnau scheint also - bei
aller gebotener Vorsicht - ein Schwerpunkt der Hexenverfolgungen in der
Herrschaft Sickingen gewesen zu sein. In keinem Fall sind die Akten
vollständig erhalten, aber das, was überliefert ist, erlaubt
einen instruktiven Einblick in die generellen Zusammenhänge und
Hintergründe von Hexenprozessen, so daß sie hier als
Beispiel gewählt sein mögen.
Das erste Verfahren, auf das ich näher eingehen möchte,
fällt in das Jahr 1602. Im Juni dieses Jahres wurde gegen
Margaretha Spiegelhalderin, Frau des Schneiders Hans Brimsinger,
ermittelt. Über ihre Person lassen sich nur wenige Aussagen
machen. Ihr Mädchenname deutet darauf hin, daß sie zu einer
in Breitnau ansässigen Familie gehörte; sie war vermutlich
mindestens mittleren Alters, hatte mehrere Kinder. Sie gehörte mit
ihrem Mann zur Schicht der Tagelöhner und Handwerker, denen
weniger Rechte zugestanden wurden als den Inhabern der großen
Höfe; wahrscheinlich war sie arm, scheint bei einem Bauern
sozusagen "zur Miete" gewohnt zu haben. Sie ging zur Kirche und
beichtete wie alle anderen Dorfbewohner auch.
Was macht eine solche Frau zur Hexe? Nicht das eigene Verhalten;
primär sind es die Verdächtigungen der Mitmenschen. Treibende
Kraft hinter dem Verfahren war der Breitnauer Einwohner Jacob
Luckholdt, der nach den spärlichen Angaben zumindest zu den
Wohlhabenderen im Dorf gehört haben muß. Für hohes
Ansehen spricht auch, daß als sein Fürsprech - Vertreter vor
Gericht - in diesem Prozeß der herrschaftliche Vogt des Dorfes
auftrat.
Luckholdt erhob zunächst vor dem lokalen Richter in Breitnau Klage
gegen Margaretha Spiegelhalderin. Es wurden Zeugen verhört, die
den Verdacht auf Hexerei in den Augen der Obrigkeit so weit
erhärteten, daß man eine Verhaftung und die Übertragung
des Verfahrens an das übergeordnete Gericht in Ebnet für
angezeigt hielt. Dort, in Anwesenheit der Herren Franz Conrad von
Sickingen, Hans Christoph von Stadion und Wilhelm von Rust,
begründete Luckholdt seine Klage damit, daß "ime so vill
schaden widerfahren, daß er dardurch sehr bekhümbert, und
verursacht worden mittel zugebrauchen (rauchwerckh meinende) da seyhe
sie Spigelhaldere darzu komen, und kheinem ordenlichen weeg nachgangen,
wie ein ander ehrenweib thuet. Er bleibe daher bei seiner Klage, gott
geb waß es dan kostet". Dem unbedarften Zuhörer wird
wahrscheinlich die Bedeutung dieser Aussage zunächst nicht ganz
klar. Gemeint ist folgendes: Luckholdt hatte Schaden erlitten - aus dem
weiteren Text wird klar, daß es sich um den Tod von Schweinen,
Kälbern und Pferden handelte -, und hegte den Verdacht, an
dieser Häufung von Verlusten könnte Zauberei schuld sein. Das
von ihm vorsichtig mit "Mittel" umschriebene Gegenmittel, zu dem er
griff, war zwar nicht ganz legal, wurde aber nichtsdestoweniger
allgemein praktiziert: die Entlarvung des angeblich Schuldigen mit
Hilfe von Zauberei, von Volksmagie. Die hier betriebene Variante
lautete: Wer als erster während oder kurz nach der Ausführung
des Gegenzaubers am Ort des Geschehens gesehen wurde, galt als
schuldig, ins besondere dann, wenn er dort gar nichts zu suchen hatte.
Luckholdts Nachsatz, er bleibe bei seiner Klage, koste es was Gott
wolle, weist auf den bisher von ihm beschrittenen Weg der Privatklage
hin. Bei diesem aus dem Mittelalter überkommenen Verfahrensweg
blieb das gesamte Risiko beim Kläger, das heißt, erwies sich
die erhobene Beschuldigung als unwahr, blühte dem Kläger
zumindest theoretisch eben jene Bestrafung, die sonst den Delinquenten
getroffen hätte. Im Fall von Hexerei wäre das die Verbrennung
gewesen.
Die Beschuldigte wies die Vorwürfe zurück: sie sei nicht, was
er sie zeihe, und er solle seine Anschuldigungen beweisen. Offenbar
wurde an diesem Punkt von seiten der Obrigkeit ein letzter Versuch der
gütlichen Einigung zwischen den Parteien gemacht, doch er
scheiterte, wie kaum anders zu erwarten war. "Uff zusprechen daß
sie sich umb den zu gefuegten schaden mit dem ankläger vertragen
solle: sie sich wol daß zuthun verweigert, dan sie habe ime
keinen schaden gethon"; sie wisse nicht, heißt es dann weiter,
was sie dem Luckholdt getan habe, daß er sie hierher gebracht
habe. Das Angebot des Gerichts lautete also, Margaretha solle Luckholdt
für einen Verlust entschädigen, für den sie sich als
nicht verantwortlich betrachtete.
Die Obrigkeit verließ nun ihre bisherige scheinbar neutrale
Haltung und übernahm Luckholdts Beschuldigung als die eigene
Auffassung, das heißt, sie übernahm das Verfahren in ihre
eigene Verantwortung und Regie. Dabei deutet die Art der
Verhörführung darauf hin, daß die Befragte von
vornherein für schuldig gehalten wurde. Denn die nächste
Frage der Gerichtspersonen lautete, was sie für Schäden getan
- durch Zauberei verursacht - habe. Margaretha beschränkte sich in
ihrer Antwort darauf, daß sie - ähnlich wie ihr Gegner
Luckholdt - Schäden an ihrem eigenen Vieh zum Anlaß genommen
hatte, einen Wahrsager aufzusuchen, um sowohl (zauberische) Gegenmittel
zu erhalten als auch den Schuldigen ermitteln zu lassen. Das reichte
der Obrigkeit natürlich nicht. Um der Frage Nachdruck zu
verleihen, wurde sie noch am selben Tag, vielleicht sogar unmittelbar
im Anschluß daran, der Folter durch den Scharfrichter Meister
Hans von Freiburg unterworfen und gestand.
Dieser Fall ist einer der wenigen, in dem eine direkte Mitschrift des
Geständnisses überliefert ist, so daß Aussagen
über den Ablauf möglich sind. Die Zeugenverhöre und die
Klage des Jacob Luckholdt hatten sich ausschließlich auf den
angeblich verursachten Schaden konzentriert, denn auf dessen Bestrafung
wie auch auf die Verhinderung zukünftiger Schäden mußte
der Sinn der Bauern und anderen Dorfbewohner in erster Linie gerichtet
sein. Statt mit ihrem Geständnis nun auf diese Vorwürfe
einzugehen, replizierte Margaretha Spiegelhalderin Elemente des
gelehrten Hexenbildes und erfüllte so die Vorstellungen der
verhörenden Obrigkeit. So heißt es darin: "Es ist zwey jahr
daß sie dahinder kommen ist. Ist arm gewösen, und also durch
armuth willen darhinder kommen. (...) [Der Teufel] Ist in der stueben
zu ihren kommen (...), in ires bauren stub. (...) Hat iren einen vierer
geben, wie sie gemeindt. Hatt iren zugemuethet, er wölle bey iren
schlaffen. Hat uff dem boden bey ime geschlaffen. Hatt sie gedunckht er
seyhe ein wenig kalt gewösen. Hat sich gesegnet, dan ist er von
iren kommen. (...) Hatt sie geheißen gott verleugnen und seine
liebe heyligen, und daß habe sie gethon. (...) Ist (...) wider zu
iren kommen, hatt zu iren gesagt sie solle dem Hanß Müller
ein kalb verderben, sie habe es mit der handt angriffen in deß
teuffels namen, ist gestorben". Ein wenig später legt sie den
zeitlichen Beginn ihres Vergehens auf zehn - statt zwei - Jahre zuvor.
Dies erschien dem Gericht, wie ausdrücklich vermerkt wurde,
glaubwürdiger; vermutlich paßte es besser zu den Aussagen
der Zeugen und den Gerüchten, die über sie in Umlauf waren.
Die Geschichte, die Margaretha Spiegelhalderin erzählt, taucht in
den Urgichten, den "offiziellen" Versionen der Geständnisse, in
Hunderten von Varianten immer wieder auf. Nach der Auffassung der
Gelehrten kam der Teufel bevorzugt zu jenen, die in Not oder sonstwie
bedrängt waren, bot Hilfe an (hier in Form von Geld, einem Vierer
nämlich), verlangte dafür Beischlaf, der aber
unnatürlich - kalt - war, und wenig später auch die
Verleugnung Gottes und das Eingehen eines Paktes mit dem Teufel. Erst
dieser Pakt war, so die allgemeine Überzeugung von Theologen und
Juristen, Grundlage und Auslöser für die vielfältigen
Fälle von Schadenzauber an Vieh, Menschen und Bodenfrüchten,
die also von der Hexe nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf
Aufforderung des Teufels und in seinem Namen verübt wurden.
Zu diesem Bild gehörte außerdem der Hexentanz oder
Hexensabbat; und so setzte Margaretha Spiegelhalderin ihr
Geständnis nach der Aufzählung einiger weiterer
Schadensfälle auch mit der obligatorischen Nennung weiterer Hexen
fort, die sie auf dem Hexentanz, war sie dort gewesen, gesehen haben
mußte. Margaretha nannte vier Personen, von denen drei allerdings
als fürstenbergische Untertanen bezeichnet wurden und somit nicht
unter sickingische Gerichtsbarkeit fielen; die vierte, Els
Strawmeyerin, wurde eingezogen und gleichzeitig mit Margaretha
Spiegelhalderin zum Tode verurteilt.
Nachdem der Widerstand der Delinquentin so erst einmal gebrochen worden
war, setzte man das Verhör drei Tage später mit gezielten
Fragen nach jenen Schadensfällen fort, von denen die Zeugen
berichtet hatten. Sie konzentrierten sich im wesentlichen auf den
Kläger Jacob Luckholdt sowie auf Fridlin Steinhardt, einen
weiteren Dorfbewohner; diese bei den betrachteten sich offenbar als die
Hauptopfer der "Hexe". Margaretha Spiegelhalderin gestand zwar auch,
einige Unwetter gemacht und verschiedenen Dorfbewohnern Krankheiten
angehext zu haben, aber der weitaus größte Teil der ihr
vorgeworfenen Zaubereien betraf Schäden an Vieh. In einem Raum wie
dem Schwarzwald, wo der Lebensunterhalt letztlich allein durch
Viehzucht bestritten wurde, mußte der Tod der Tiere
existenzbedrohend wirken. Thoma Wursthorn etwa beklagte den Verlust von
Vieh im Gegenwert von 100 Gulden, was einen erheblichen Wert
darstellte. Die Bauern vermuteten Motive wie Neid oder Rache hinter der
angeblichen Handlungsweise der Hexe - man erinnere sich, daß
Margaretha eher zur Unterschicht, ihre Gegner eher zu den Etablierten
im Dorf gehörten. Jacob Luckholdts Frau und Gesinde hatte sich
mehrfach geweigert, ihr auf ihre Bitte Molke oder Öhmd zu geben.
Jedes Mal folgte der Weigerung der Tod von Kälbern oder Schweinen.
Bei der Hochzeit von Luckholdts Tochter schaute die Spiegelhalderin in
den Stall, lobte den guten Zustand von Stall und Kälbern - gleich
darauf wollte eines nicht mehr saugen.
Wer sich hilflos den Unbilden der Natur gegenüber sah, die die
Früchte seiner Arbeit vernichtete, suchte nach Gründen, nach
Schuldzuweisungen. Das Geständnis der Beschuldigten,
"tatsächlich" an dem Schaden schuld zu sein, bot eine
Erklärung, ihre Hinrichtung schließlich die scheinbare
Möglichkeit, sich vor zukünftigen Schäden zu
schützen.
Nach der geltenden Rechtsordnung war ein solches Geständnis,
hinreichend für die Verurteilung, sofern der Beschuldigte es
einige Tage später "gütlich", das heißt ohne Folter,
als wahrheitsgemäß bestätigte. Das geschah, und am 13.
August 1602 fällten die Vierundzwanzig Malefizrichter unter
Verweis auf die Constitutio Criminalis Carolina, das "Strafgesetzbuch"
des Reiches, das Urteil, daß "dise persohnen, Margreta und
Elisabeth angeclagter geüebter hexerey und begangenen
müßhandlungen, anderen zue einem abschewlichen exempel
heutigs tags durch den Meister Hansen den nachrichter zue Freyburg, zue
verordneter richt- und wahl statt gefüerth, alda durch daß
fewer vom leben zuem todt gebracht, und ihre leyber zue pulffer und
eschen verprent werden sollen". Nach der Verkündung dieses Urteils
haben "die zwo arme weibspersohnen, neben den 24 herren
malefizrichtern, auch einer ehrwürdigen priesterschafft umb
milterung der urthell bei der herrschaft underthänig und
demütigs vleyß angehalten und gebeten, und dieweil
wolermelte herrschafft sollich (...) ersuchen nit unzimblich erachtet,
(...). Alß hat sie sich (...) dahin erclären lassen, dz
(...) die zwo arme persohnen, erstlichen durch daß schwert,
volgendts und im übrigen nach inhalt und besag ergangener urthell
hingericht und abgestrafft werden sollen". Die "Begnadigung", erst
enthauptet und dann verbrannt zu werden, war das einzige
Zugeständnis an die Menschlichkeit, das geständige Hexen zu
erwarten hatten. Das Urteil lautete weiterhin auf Konfiskation des
gesamten Vermögens der Verurteilten.
Der zweite hier zu schildernde Fall trug sich gut sieben Jahre
später und wiederum in Breitnau zu. Manche der Protagonisten sind
uns schon aus dem Verfahren gegen Margaretha Spiegelhalderin bekannt.
Im Dezember 1609 erhob Verena Dreyerin, Frau des Ulrich Wursthorn,
Beleidigungsklage gegen Martin Schwartz. Wiederum weiß man
über sie nur wenig: sie scheint schon einmal verheiratet gewesen
zu sein und hatte aus dieser ersten Ehe mehrere, inzwischen
verheiratete Kinder. Irgendwann vor 1602 brannte ihr eigenes Haus ab,
seitdem wohnte sie bei ihrem Sohn Michel Häusler. Ihr Kontrahent
war mit Jacob Luckholdt, den wir schon aus dem eben dargestellten Fall
kennen, verschwägert. Sonst ist kaum etwas über ihn in
Erfahrung zu bringen, außer, daß als sein Fürsprech
vor Gericht Fridlin Steinhardt auftrat, der gleichfalls eines der
Hauptopfer des angeblichen Schadenzaubers von Margaretha
Spiegelhalderin gewesen war.
Verena Dreyerin klagte: Martin Schwartz habe Reden getan, die sie zu
leiden nicht willens sei, und sie "begere (...) der beclagte soll ihren
umb die außgeschlagene scheltwortt, khär und wandell thuen,
nach ihrer ehren noturfft; mit ab trag alles kosten, und schaden".
Die Formulierung "Kehr und Wandel tun", die in diesem Zusammenhang
häufig auftritt, beinhaltet eine formelle, gerichtliche
Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand der Ehre und Unbescholtenheit,
was angesichts der großen Bedeutung von "Ehre" in der frühen
Neuzeit in einem solchen kleinen Dorf fast lebensnotwendig gewesen sein
dürfte. Was diese Scheltworte waren, ergibt sich erst fünf
Seiten später nach einigem Hin und Her zwischen den Parteien.
Martin Schwartz antwortete auf die Klage: "waß er geredt habe,
daß seye anderer gestalt nicht beschehen dan wan es wahr seye
waß ander leuth sagen, so seye sie ein hex". Auch dies ist eine
häufig anzutreffende Formulierung; wer Gerüchte auf diese
Weise verbreitete, konnte schwer wegen Verbreitung falscher Tatsachen
verklagt werden. Schwartz allerdings versuchte auch, seine indirekte
Behauptung jetzt vor Gericht zu belegen. Zum einen, führte er aus,
habe es vor Jahren schon einmal eine Gerichtsverhandlung wegen solcher
Reden gegen sie gegeben, und er höre sagen, daß diese Sache
noch nicht erledigt sei - sprich, daß die damaligen Vorwürfe
nicht endgültig aus der Welt geschafft worden seien. Er sei nicht
der Urheber der Gerüchte, sie solle daher erst einmal gegen
diejenigen klagen, die die Verdächtigungen aufgebracht
hätten. Zum anderen werde er gute Zeugen nennen, die
Argwöhnisches über Verena Dreyerin berichten könnten.
Man könnte seine Verteidigung so umschreiben: er selbst sei zwar
nicht für das Gerede verantwortlich zu machen, aber es sei
stichhaltig.
Es folgten umfangreiche Zeugenvernehmungen, bis das Gericht
schließlich im Juli 1610 beschloß, die Sache sei ihm zu
schwer und man wolle ein Rechtsgutachten einholen. Das Gutachten, das
selbst nicht überliefert ist, führte zu dem Urteil, daß
"die clägere gegen den jenigen so Verenam Dreyherin (...) vor der
zeit verschreith, übels bezichtiget, auch durch schmach
ehrletzliche unleidenliche reden an griffen haben, mit ordenlichen
rechten verfahren, und der selben ehr, notturfftiglichen, auch
geburender maßen, erretten"; bis dahin sollte das laufende
Verfahren gegen Martin Schwartz vertagt werden. Weiter heißt es,
beide Parteien hätten sich "gar höchlichen der urthell, und
darbey gehapter bemüehung hoch vleißig bedanckht".
Tatsächlich konnten beide mit dem bisherigen Verlauf zufrieden
sein: Schwartz war von der Verantwortung enthoben, die Gerüchte
aufgebracht - und nicht nur weiterverbreitet - zu haben. Verena
Dreyerin erhielt die Möglichkeit, weiter vor Gericht um ihre Ehre
zu kämpfen.
Sie scheint darauf vorbereitet gewesen zu sein, denn unmittelbar im
Anschluß daran erhob sie detailliert Klage gegen drei
Männer, die nach den vor hergegangenen Zeugenaussagen als Urheber
der umlaufenden Gerüchte bezeichnet werden konnten. Einer von
ihnen war Jacob Luckholdt, der uns schon als treibende Kraft hinter dem
Verfahren von 1602 bekannt ist. Die Beklagten zogen sich zunächst
zwar darauf zurück, daß ihrer Auffassung nach die vor Jahren
in der schon genannten Gerichtsverhandlung behandelten Gerüchte
nicht vollständig ausgeräumt und für unwirksam
erklärt worden waren; ansonsten aber erklärten sie, die ihnen
vorgeworfenen Reden seien so gefallen, "und pitten die Verena Dreyherin
solle sie zufriden laßen". Diese hingegen hakte nach und forderte
eine konkrete Antwort, ob die drei ihre Reden wirklich so gemeint
hätten: "Alß von dem [Jacob] Krampschen, ob er darfür
halte, daß (...) [sie] wetter, und nebel machen khünde. Den
Veltin Wintterer, warumben er gesagt, daß (...) [sie] nit fromme
seye. Den Jacob Lückholdten, ob er vermeine, wan sein ehefraw
gestorben wäre, daß (...) [sie] daran schuldig
gewäßen". Die drei Männer antworteten, sie würden
ihr nichts Gutes zutrauen. Auf die Nachfrage, warum das so sei, "ob
daß von huorn, hexen, oder diebswerckh seye" - Hure, Dieb und
Hexe waren ungefähr die schwersten Beleidigungen und
Vorwürfe, die man sich in der damaligen Zeit gegenseitig an den
Kopf werfen konnte -, antworteten die Beklagten recht differenziert:
"sie wißen von diebswerckh nichts, waß huorn werckh anlangt
daß laßen sie verpleiben, aber so vil daß hexenwerckh
anlangt, daßselbig trauen sie ihren zuo".
Die Klägerin antwortete mit der Forderung, sie sollten konkrete
Fälle benennen, in denen sie Leuten oder Vieh Schaden zu
gefügt oder Wetter gemacht habe. Luckholdt und Konsorten fiel
darauf nicht mehr ein, als "wan man daß hexenwerckh hinder ihren
suoche, so werde man dasselbig finden". Anders ausgedrückt, wenn
die Obrigkeit Ermittlungen gegen sie aufnehme, sie verhafte und
foltere, werde sich schon herausstellen, daß sie eine Hexe sei.
Dem Gericht war die Sache wieder zu schwer; sie sei so hochwichtig,
daß die Entscheidung von der Obrigkeit getroffen werden
müsse.
Was letztlich daraus geworden ist, weiß man leider nicht. Die
Chancen standen sicherlich schlecht für Verena, denn in vielen
Fällen hielten die Obrigkeiten den Verdacht für so
begründet, daß sie auf das Auftreten vor Gericht mit der
Verhaftung der Verdächtigen antworteten. Von den - soweit bisher
bekannt - zwölf übrigen Personen, die in
Vorderösterreich durch eine Gegenklage versuchten, die
Hexereibeschuldigung von sich abzuwenden, geriet ein großer Teil
dennoch in einen Hexenprozeß hinein. Fünf endeten auf dem
Scheiterhaufen, zwei oder drei weitere entgingen dem nur, weil sie auf
der Folter standhaft blieben.
Anhand der Zeugenaussagen läßt sich im Fall der Verena
Dreyerin recht plastisch nachvollziehen, wie es über Jahrzehnte
hinweg zum Aufbau der Verdächtigungen gegen Verena Dreyerin kam.
Jacob Luckholdt führte als Belastungspunkt gegen sie an, sie sei
schon vor zwanzig Jahren (das wäre um 1590) in Argwohn gewesen,
weil die Klingenhammerin sie als Hexe bezichtigt habe. Diese
Bezichtigung hatte damals zu der mehrfach erwähnten
Gerichtsverhandlung geführt. Irgendwann vor 1602 brannte ihr Haus
ab. Ob dies nun auch zu den Verdächtigungen beitrug, wird nicht
recht klar, doch blieb es allen Beteiligten lebhaft in Erinnerung und
wurde als Marke für die zeitliche Zuordnung benutzt. So berichtete
ein Zeuge: In dem Jahr, als der Alten Häuslerin ihr Haus
verbrannte, kam sie heulend zu ihm, sie würde von den Leuten
für eine Hexe gehalten, und sie hätte gute Lust, aus dem Land
zu fliehen. Der Zeuge riet davon ab, mit der Begründung, die
Flucht würde nur zur Bestätigung der Gerüchte
führen. Sie solle stattdessen auf Wiederherstellung ihrer Ehre
klagen - was sie Jahre später auch tat. Um 1602 beklagte sich
Verena Dreyerins Schwiegersohn Thönges Dröscher bei einem
weiteren Zeugen, er habe Schwierigkeiten, Personal für die Ernte
zu bekommen. Niemand wolle bei ihnen bleiben, denn alle sagten, seine
Schwiegermutter sei eine Hexe. Der Zeuge antwortete, "es würdt
aber gewohnlich nit also sein, [darauf] habe der Dröscher ime zue
andtwortt geben, er habe nichts dergleichen von ihren gesehen". Der
Schwiegersohn ging also von ihrer Unschuld und der Unbegründetheit
der Vorwürfe aus; während des Injurienprozesses von 1609/10
trat er dann auch neben anderen Verwandten als Fürsprecher seiner
Schwiegermutter vor Gericht auf. Im gleichen Jahr - 1602 - wurden
Margaretha Spiegelhalderin und Els Strawmeyerin hingerichtet.
Über die Henkersmahlzeit (die damals, im Unterschied zu heute,
nicht dem Verurteilten, sondern dem Henker und den übrigen
Gerichtsbeteiligten zustand) berichtete der Zeuge Jacob Krampsch, der
später zu den von Verena Dreyerin Beklagten gehörte: "es habe
Meister Hanß der nachrichter zu Freyburg, auch an einem disch
gezehrt, und zu ime zeugen gesagt, er solle ime mehr weiber pringen,
darauff er zeug gesagt wen er bringen solte, er wiße kheine, do
hab Meister Hanß gesagt, er soll die pringen, die ihren selbst
daß hauß verbrennt habe, hierauff hab er zeug gesagt, er
bring sy nicht, sie seye sein deß zeugen gefatter, uff daß
hab er Meister Hanß gesagt er soll sie pringen sy seye sein
gefatter oder nicht".
Die Scharfrichter als ausführende Organe konnten natürlich
darauf, wer verhaftet und in ihre Behandlung gegeben wurde, im
allgemeinen keinen Einfluß ausüben. Sie konnten aber, wie
dieses Beispiel zeigt, sehr wohl Gerüchte in Umlauf bringen bzw.
verstärken. Der geschilderte Vorfall blieb nicht der einzige, in
dem Meister Hans zur Verfolgung und Verbrennung von Verena Dreyerin
aufforderte. Als ein weiterer Zeuge etwa 1607 den Scharfrichter in
Freiburg aufsuchte, um dessen Abdeckerdienste in Anspruch zu nehmen,
habe dieser folgendes erzählt: er - der Scharfrichter - sei vor
Jahren einmal im Haus der Häuslerin gewesen und "etwaß in
dem stall thun sollen, domit ihnen weiter unfahl nicht under dem viech
begegne", und er habe ihr damals ins Gesicht gesagt, sie selbst -
Verena Dreyerin - hätte den Schaden verursacht. Den Zeugen fragte
er nun, ob die Häußlerin noch lebe, "zeug geandtwortet ja,
darauff M.[eister] Hanß gesagt, sie würde villeicht nit
sterben künden und alß zeug verstanden wie er dise reden
gemeindt habe er gesagt ihr solten ihren darzu etwan helffen,
M.[eister] Hanß gesagt, wan er sie zu Ebnet gefunden hette, er ir
baldt geholffen". Daraus ergibt sich zweierlei: der Scharfrichter
gehörte, wie so viele seiner Zunft, zu den oft von der
Bevölkerung in weitem Umkreis in Anspruch genommenen Vertretern
der Volksmagie, zu denen, die Gegenzauber nutzten, um einerseits
weiteren Schadenzauber zu verhüten und andererseits jene Personen
aufzudecken, die angeblich für die Verhängung des Schadens
verantwortlich waren. Zum zweiten war Meister Hans fest davon über
zeugt, daß er in der Lage wäre, ein Geständnis aus ihr
her auszupressen, sofern er nur die Gelegenheit dazu bekäme. Denn
wenn der Scharfrichter sie in Ebnet fand, hieß das, daß die
Obrigkeit die Beschuldigte zwecks Folter in seine Hände
überstellte. Diese Überzeugung von der Effektivität der
Folter wurde übrigens, wie aus weiteren Zeugenaussagen deutlich
wird, von den Dorfbewohnern geteilt.
Anders als der Schwiegersohn Thönges Dröscher war Verenas
Sohn Michel Häusler offenbar nicht so sehr von ihrer Unschuld
überzeugt. Vor fünf Jahren (also um 1605), so berichtete ein
Zeuge, habe Häusler sich beim Tod eines jungen Stieres beklagt, es
werde alles nichts, solange er "sie" im Haus habe, womit er seine
Mutter meinte, die seit dem Brand ihres Hauses bei ihm wohnte. Wer eine
Hexe im Haus hatte, konnte nicht erfolgreich sein. Ebenso schreckte er
nicht davor zurück, sie als "alte Hexe" zu beschimpfen und zu
behaupten, sie habe einem Knecht Schaden zufügen wollen.
Vielleicht waren das aber für ihn nicht viel mehr als Redensarten,
denn auch er trat bei dem Injurienprozeß als rechtlicher
Vertreter seiner Mutter auf.
Aus den übrigen Zeugenaussagen wird deutlich, daß der
Beschuldigten - anders als in dem Verfahren gegen Margaretha
Spiegelhalderin acht Jahre zuvor - kaum konkrete Schadensfälle
angelastet werden konnten. Allein die Frau Jacob Luckholdts behauptete,
die Häuslerin hätte sie angehaucht, und sie sei davon
erkrankt und wäre gestorben, hätte ihr nicht ihr Ehemann
- Luckholdt - mit magischen Mitteln wieder geholfen. Die
übrigen Zeugen berichten allein von haßerfüllten, kaum
verbrämten Äußerungen gegen die Häuslerin.
Luckholdt erzählte jedem, der es hören wollte, sie sei eine
Hexe. Ein anderer Zeuge meinte, die Junker, also die sickingische
Obrigkeit, wüßten schon, wer die Häuslerin sei - eine
Hexe. Noch ein anderer: sie sei nicht fromm, aber der Scharfrichter
werde schon dafür sorgen, daß sie fromm werde.
Die Häufung dieser Art von Aussagen läßt vermuten,
daß hinter der Hexereibeschuldigung mehr stand als die reine
Schuldzuweisung an einen Sündenbock; möglicherweise wurden
auf diesem Weg schon jahrelang andauernde Auseinandersetzungen zwischen
verschiedenen Familien und Fraktionen im Dorf fortgesetzt. Nachweisen
läßt sich dies nicht, weil die Überlieferung verloren
ist, aber es ist schon für andere Territorien gezeigt worden,
daß Hexenprozesse auch zur Fortführung dörflicher
Konflikte auf anderer Ebene dienen konnten.
Generell aber läßt sich der allmähliche, über
Jahrzehnte hinweg erfolgende Aufbau von Gerüchten immer wieder
beobachten. Hatte sich erst einmal ein Anfangsverdacht an einem
Mitglied der dörflichen Gemeinschaft festgesetzt, bot sich die
Möglichkeit, alle Schadens- und Unglücksfälle dieser
Person anzulasten. Das tote Vieh blieb tot, aber man hatte wenigstens
jemanden, den man dafür verantwortlich machen konnte. Letztlich
führte eine solche Entwicklung dazu, daß den Eingekreisten
kaum eine Möglichkeit blieb, sich zu wehren. Flohen sie,
bestätigten sie die scheinbare Wahrheit der Gerüchte.
Ließen sie die Gerüchte auf sich beruhen, ohne vor Gericht
dagegen vorzugehen, wurde ihnen dies hinterher als belastend und den
Verdacht bestätigend ausgelegt. Erhoben sie Klage vor Gericht,
konnte es leicht sein, daß der Verteidigungsversuch mit dem
Umschlag in einen gewöhnlichen Hexenprozeß und ihrer
Hinrichtung endete, sofern sie nicht stark genug waren, die Folter ohne
Geständnis zu überstehen.
Noch einige allgemeine Bemerkungen zu den Hexenverfolgungen in den
österreichischen Vorlanden. Für ganz Vorderösterreich
sind bisher 1388 Verfahren wegen Hexerei bekannt. 1079 oder fast 80%
endeten mit dem Tod der Betroffenen. 149 kamen mit dem Leben davon,
wurden aber nicht selten mit lebenslanger Haft oder Ausweisung belegt;
einem Freispruch von den Verdächtigungen bedeutete dies niemals,
in manchen Fällen nur einen Aufschub des Todesurteils. Es mag
allerdings sein, daß es noch wesentlich mehr Prozesse ohne
Todesfolge gegeben hat, die in den bisher von mir bearbeiteten Quellen
nicht aufscheinen und möglicherweise auch nie aufgespürt
werden können. In einzelnen Städten wie Freiburg, für
die die Quellen schon besser bearbeitet sind, sieht das Verhältnis
wesentlich günstiger aus; hier wurden nur knapp über die
Hälfte der Beschuldigten hingerichtet.
Zeitlich konzentrieren sich die Hexenprozesse, in Vorderösterreich
ebenso wie in ganz Südwestdeutschland, auf die sechzig Jahre
zwischen 1570 und 1630. Die Hexenverfolgungen sind also nicht, wie oft
in populären Darstellungen behauptet, ein Phänomen des
"dunklen" Mittelalters, sondern der Neuzeit. Einzelfälle ziehen
sich sogar bis weit ins 18. Jahrhundert hinein; einer der letzten
Hexenprozesse, die es in Deutschland gegeben hat, ereignete sich ganz
in der Nähe, in Endingen, im Jahr 1751. Die Verdächtige wurde
auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Betrachtet man einzelne Orte, und
nicht das gesamte Territorium, so löst sich diese relativ
kontinuierliche Verfolgungshochphase auf in einzelne
Prozeßwellen. Die meisten Orte und Herrschaften in
Vorderösterreich folgen einem Verfolgungsmuster, das als "small
panics" bezeichnet worden ist: mehrere Hinrichtungen innerhalb einer
kurzen Zeitspanne wechseln sich ab mit einer bis zu einer Generation
langen Phase, in der entweder gar keine oder nur vereinzelte Prozesse
stattfinden. Solche Prozeßwellen ereigneten sich beispielsweise
in der Herrschaft Burkheim am Kaiserstuhl 1573-1575, 1580, 1613/1614
und 1620/1621; in der Stadt Freiburg 1599 und 1603, in Waldkirch 1576,
1603 und 1631.
Das Potential zur Ausweitung lag in jedem einzelnen Prozeß, weil
jede Hexe auf dem Sabbat andere Hexen gesehen haben mußte. Bis
heute ist weitgehend ungeklärt, warum sich manche Prozesse zu
Verfolgungswellen ausweiten und andere nicht. Die zugrundeliegende
Hexenlehre entstand im 15. Jahrhundert; spätestens seit der ersten
Hälfte des 16. Jahrhunderts war sie in ihrer kompletten Ausformung
allgemein bekannt und auch schon Grundlage erster Strafprozesse. Die
erste "echte" Hexenhinrichtung in Freiburg beispielsweise fand 1546
statt. Doch zu Prozeßwellen, ausgelöst durch den Mechanismus
der Besagungen, kam es erst eine Generation später. Schon die
zeitlich und räumlich ungleichmäßige Verteilung deutet
darauf hin, daß das "Vorhandensein" von Hexen stark von den
Sichtweisen und Interessen möglicher Prozeßbeteiligter
abhing.
Anders ausgedrückt: es gab keine Hexensekte, kein
Überbleibsel heidnischer Riten; genausowenig gab es die
"Vernichtung der weisen Frauen", die gezielte Verfolgung von
Verhütungs- und Abtreibungswissen. Es betrieben zwar breite Kreise
der Bevölkerung Volksmagie - aber sehr viele von den
"Volksmagiern" sind Männer und geraten niemals in die Gefahr der
Verfolgung. In Breitnau und Umgebung haben wir in dieser Rolle
kennengelernt: Jacob Luckholdt, den angesehenen Bürger; Meister
Hans, den Scharfrichter von Freiburg; und Margaretha Spiegelhalderin,
die verbrannt wurde. Hexenverfolgungen konnten nur zustandekommen, wenn
die Interessen der Hauptbeteiligten - Bevölkerung und Obrigkeit -
parallel liefen.
Auf die Motivation der Dorfbewohner bin ich schon eingegangen. Für
sie war es entscheidend, daß jemand gefunden wurde, der für
den geschehenen Schaden an Vieh, Menschen und Ernte verantwortlich
gemacht werden konnte, daß sich durch die Prozesse
Handlungsmöglichkeiten ergaben, etwaigen zukünftigen Schaden
zu verhindern, und daß man so notfalls auch Gegner innerhalb des
Dorfes beseitigen konnte. Es scheint, daß sich das Drängen
in solchen Zeiten verstärkte, die man als "Agrarkrisenjahre"
bezeichnet: Mißernten, gefolgt von Teuerung, Hunger und Seuchen.
Behringer hat dies für Bayern recht eindrücklich gezeigt, und
auch für den südwestdeutschen Raum könnte es ein
Schlüssel für die Frage sein, warum die Verfolgungen gerade
in den Jahren nach 1570 einsetzten. Denn die Jahre von 1570 bis 1575
sahen die schlimmste Teuerungs- und Hungerkrise seit Menschengedenken,
und wer seine Existenz in dieser Weise gefährdet sah, mochte eher
an das böswillige Treiben von Hexen glauben.
Doch allein Wünsche aus der Bevölkerung reichten nicht aus,
die Obrigkeit mußte auf sie eingehen und in Gerichtsverfahren
umsetzen. Nun hatte die "Elite" der Gelehrten und der Obrigkeit ein
völlig anderes Hexenbild als das "Volk". Für sie stand nicht
der Schadenzauber im Mittelpunkt, sondern die dämonologischen
Aspekte des Hexenglaubens, die Verbindung mit dem Teufel. Keiner von
ihnen stellte die Existenz des Teufels in Frage, kaum einer zweifelte
an der Realität von Hexenflug und Hexensabbat. Die ganz
überwiegende Mehrheit - die "herrschende Meinung", sozusagen -
hielten es für möglich und wahrscheinlich, daß sich der
Teufel Verbündete in der Welt suchte, die allein durch diese
Verbindung zu Feinden der Menschheit wurden und mit dem Tod durch
Verbrennung bestraft werden mußten. Da war es unerheblich, ob sie
tatsächlich Schaden angerichtet hatten oder nicht; mit dem
Teufelspakt dokumentierten sie ihren Willen dazu, und das genügte.
Die Gelehrtenauffassungen übertrugen sich auf die Gerichtspraxis.
Wo in den Todesurteilen eine ausführlichere Begründung
angeführt wurde, stellte diese den Abfall von Gott in den
Mittelpunkt des Delikts, der Schadenzauber war sekundär. Daß
die Hexen sich dem Teufel zuwandten, war nicht primär eine
individuelle Verfehlung, sondern konnte den Zorn Gottes auf die gesamte
menschliche Gemeinschaft herabrufen. Um dies zu verhindern,
mußten die Hexen bestraft und ausgerottet werden. Wenn sich nun
im Laufe des 17. Jahrhunderts die Hauptziele der Obrigkeit zunehmend
auf säkulare Bereiche verlagerten, mußte auch das
Hexereidelikt allmählich aus ihrem Blickwinkel herausfallen.
Entsprechend heißt es während der Hochphase der
Hexenverfolgung über Hexereiverdächtigungen oft, wie ja auch
im zweiten Breitnauer Fall, die Sache sei hochwichtig und müsse
weiterverfolgt werden. Ab etwa 1630 wuchsen dagegen die Zweifel an der
Beweisbarkeit des Hexereidelikts, und immer weniger war die Obrigkeit
bereit, auf die Prozeßbegehren der Bevölkerung ein zugehen;
dies ist gerade anhand der späten Freiburger Fälle in einer
Magisterarbeit sehr eindrücklich gezeigt worden.
Viele Fragen, auch über das hinaus, was ich in diesem Vortrag
anreißen konnte, sind in den letzten zwanzig Jahren moderner
Hexenforschung aufgeworfen worden; nur weniges wurde bisher
zufriedenstellend geklärt. Es gibt immer noch viel zu beantworten:
die Rolle der Konfiskationen und die finanziellen Aspekte der
Hexenverfolgung, das Zusammenspiel von Vorstellungen des Volkes und der
Obrigkeit, die Rolle von Gegenreformation, Konfessionalisierung und
Christianisierung, ein genauerer Abgleich zwischen Sozial- und
Wirtschaftsgeschichte und den Phasen der Hexenverfolgung,
Hexenverfolgung als Frauenverfolgung, und so weiter. Die Liste
ließe sich fast beliebig verlängern.